Die Neuauflage der internationalen Produktnorm für vor Ort härtendes Schlauch-Lining, ISO 11296-4, brachte im Jahr 2018 eine Reihe von Änderungen mit sich. Hinter neuen Begriffen wie Design-Wanddicke und Komposit verbergen sich größere, notwendige Anpassungen für die Branche als es zunächst den Anschein hat. Was müssen Planer, Hersteller, Prüfinstitute und Baufirmen zukünftig beachten? Es folgt ein Fachbeitrag darüber, wie die Theorie in die Praxis überführt werden kann und so für mehr Transparenz sorgt.
Einführung
Das vor Ort härtende Schlauch-Lining gilt, als eines von zahlreichen Technologien zur Sanierung von Rohrleitungen, als das am häufigsten eingesetzte Renovierungsverfahren weltweit. ISO 11295 klassifiziert und beschreibt allgemein die Technikfamilien.
ISO 11296-4 legt in Verbindung mit ISO 11296-1 die Anforderungen und Prüfverfahren für das vor Ort härtende Schlauch-Lining fest (siehe Bild 1). In der aktuellen Fassung der DIN EN ISO 11296-4 (2018-09) wurden Änderungen vorgenommen, die große Vorteile im Hinblick auf Messgenauigkeit und Einheitlichkeit von mechanischen Kennwerten für die gesamte Branche mit sich bringen. An dieser Stelle sollen die Definitionen zu Wanddicken und der neue Begriff Komposit praxisnah erläutert werden.
Bild 1: Vor-Ort härtendes Schlauch-Lining
Planung: Design-Wanddicke
Jede erfolgreiche Rohrsanierung beginnt mit einer Planung durch eine/n Ingenieur*in oder eine/n zertifizierte/n Kanalsanierungsberater*in. Als Grundlage dienen u. a. Sanierungsstrategien, Bestandspläne, Zustandserfassungen und -bewertungen der Altrohre, Kosten- und Nutzenrechnungen, hydraulische Dimensionierungen usw. Statische Berechnungen unter Annahme ortsspezifischer Lasten (Grundwasser-, Verkehrs- und Bodenlasten, Innendruck sowie Auftrieb) und materialspezifischer Kennwerte werden durchgeführt, um die Design-Wanddicke zu bestimmen. Hierbei wird auf der Grundlage der gültigen DWA-Regelwerke die rechnerisch, also theoretisch, erforderliche Wanddicke des Liners ermittelt. Das ist die Wanddicke, die mindestens als statisch wirksam herzustellen und nachzuweisen ist. Die Design-Wanddicke wird auf den Grundlagen der mechanischen Eigenschaften wie E-Modul oder Festigkeit bestimmt. Verschleißschichten dürfen nicht Teil der Design-Wanddicke sein, d. h. sie sind zusätzlich einzuplanen.
Zur Veranschaulichung nehmen wir im Folgenden beispielhaft an, dass für einen SAERTEX-LINER MULTI Typ S+ die Design-Wanddicke mit 3,8 mm berechnet wurde. Diese Wanddicke ergibt sich aus den Kennwerten, wie sie in der DIBt-Zulassung beschrieben sind. Diese Kennwerte beziehen sich auf die Verbunddicke (siehe folgender Punkt).
Produktion: Verbunddicke
Bisher musste jeder Hersteller gem. DIN EN ISO 11296-4 (2011) die sogenannte Verbunddicke ausweisen und ihre mechanischen Kennwerte auf diese beziehen. Die Verbunddicke wird oft, beispielsweise auch in den DIBt-Zulassungen, Verbundwanddicke genannt und bezeichnet das eigentliche Laminat (Harzsystem + Glasfaser) unter Abzug der sogenannten harzreichen Schichten (siehe Bild 2). Produktions- und designbedingt unterscheidet sich die Verbunddicke bei den meisten Schlauchliner-Herstellern. Für die Schlauchliner-Hersteller ist es wirtschaftlich nicht darstellbar, jede gewünschte Dicke in Zehntel Millimeterschritten anzubieten. Aufgrund dessen haben die Anbieter am Markt feste Wanddickensprünge für sich definiert, die produktionsbedingt für den jeweiligen Hersteller am besten sind. SAERTEX multiCom hat sich z. B. für Freispiegelanwendungen, unabhängig vom Harztyp, bei der nominellen Verbunddicke auf ganzzahlige Millimeterwerte (3,0 / 4,0 / 5,0 bis 15,0) festgelegt.
In unserem Beispiel läge die gewählte nominelle Verbunddicke bei 4,0 mm.
Bild 2: Komposit versus Verbund
Mechanische Kennwerte:
Kompositdicke Nach der aktuell gültigen Norm DIN EN ISO 11296-4 (2018) werden nun die mechanischen Kennwerte von Linern nicht mehr auf die Verbunddicke, sondern auf die Kompositdicke bezogen. Die Kompositdicke wird sehr einfach aus der Gesamtdicke bestimmt, indem von diesem Maß thermoplastische Innen- oder Außenfolien abgezogen werden. Die Hersteller werden die Dicke der Folien zukünftig in den technischen Datenblättern der Liner angeben. Die extrem aufwändige und unsichere Messung der harzreichen Schichten entfällt damit. Gleichzeitig werden die Kennwerte für E-Modul und Festigkeit deutlich realistischer und nicht durch eine Umrechnung wie bisher verzerrt. Die Kompositdicke ist die vollständige Laminatdicke und umfasst im Gegensatz zur Verbunddicke nicht nur die Schichten mit Glasfaseranteil im Kern, sondern einfach das gesamte Harz, das sich zwischen den Folien befindet. Dies führt zu weitreichenden Änderungen bei der Ermittlung der mechanischen Kennwerte in Dreipunkt-Biegeprüfungen oder Scheiteldruckprüfungen. Die Liner haben zukünftig andere Kennwerte für E-Modul und Festigkeit. Aber weil sich auch die nominelle Dicke der Liner ändert, wird die Planung einer bestimmten Anwendung am Ende zu genau denselben Linern mit identischen Ringsteifigkeiten führen, wie die Berechnungen nach der Vorgängerversion der DIN EN 11296-4.
Die Kompositdicke, bestehend aus Laminat einschließlich harzreicher Schicht, ist grundsätzlich größer als die Verbunddicke. Mechanische Kennwerte wie die Biegezugfestigkeit oder der E-Modul fallen dadurch künftig geringer aus (siehe auch Fachbericht von Dr.-Ing. Ricky Selle und Dr.-Ing. Nils Füchtjohann).
Begriffe gem. DIN EN ISO 11296-4 (2018-09)
Komposit: Kombination aus ausgehärtetem Harzsystem (3.1.16), Trägermaterial (3.1.2) und/oder Verstärkung (3.1.15), ausschließlich Innen- oder Außenfolien
Mittlere Wanddicke des Komposits: mindestens die Design-Wanddicke (zuzüglich der Dicke jeglicher Verschleißschicht)
Mindestwanddicke des Komposits: mindestens 80 % der Design-Wanddicke (zuzüglich der Dicke jeglicher Verschleißschicht), oder 3 mm, wobei der größere Wert gilt
Design-Wanddicke: erforderliche Wanddicke des Komposits (3.1.6), ausschließlich jeglicher Verschleißschicht (3.1.1), die durch statische Berechnung bestimmt wird
CIPP-Nenn-Wanddicke: ein Wert aus einer Reihe unterschiedlicher Wanddicken von Lining-Schläuchen, der sich aus der Summe der Dicken der einzelnen Schichten der Werkstoffe im „M“-Zustand ergibt
Gesamtwanddicke: Dicke des vor Ort gehärteten Schlauch-Liners im „I“-Zustand, bestehend aus dem Komposit (3.1.6) und allen semi-permanenten (3.1.17) und permanenten Folien (3.1.13)
CIPP-Produkt vor Ort gehärtetes Schlauch-Lining-Produkt: vor Ort gehärteter Schlauch-Liner einer bestimmten Konstruktion, das aus einem Liner aus festgelegten Werkstoffen hergestellt wurde, mit einem Wandaufbau, der für jede Durchmesser-/Wanddicken-Kombination einzeln definiert wird, und der mit einem speziellen Harzsystem (3.1.16) imprägniert und in einem bestimmten Prozess eingebaut wird
Verschleißschicht: Innenschicht des Komposits mit einer deklarierten Dicke, die als Opferschicht für den voraussichtlichen Abrieb des CIPP-Produkts (3.1.3) im Betrieb bereitgestellt wird
Lining-Schlauch: flexibler Schlauch, bestehend aus Trägermaterial (3.1.2), Harzsystem (3.1.16), und allen Folien und/ oder Verstärkungen (3.1.15), wie vor dem Einbringen in das zu renovierende Rohr hergestellt
Begriffe gem. DIN EN ISO 11296-1 (2018-09)
„M“-Zustand: Zustand „wie hergestellt“ (engl.: as manufactured), d. h. bevor eine Behandlung der Bauteile auf der Baustelle mit dem jeweiligen Renovierungsverfahren erfolgt
„I“-Zustand: Zustand „wie eingebaut“ (engl.: as installed), d. h. in endgültigem Zustand nach einer Behandlung der Bauteile auf der Baustelle, als Folge des jeweiligen Renovierungsverfahrens
Gleichzeitig wird sich aber auch die Wanddicke in den Berechnungen erhöhen und diesen Effekt vollständig ausgleichen.
SAERTEX multiCom wird für Freispiegelanwendungen die nominelle Dicke, die dann zukünftig eine Kompositdicke ist, auf folgende Kennwerte ändern: 3,5 / 4,5 / 5,5 bis 15,5. In unserem Beispiel würde sich auf der Grundlage der Kennwerte bezogen auf die Kompositdicke eine Design-Wanddicke von 4,3 mm ergeben. Die erforderliche Wanddicke wird größer, da der mechanische Kennwert kleiner ist. Die gewählte nominelle Dicke des Liners wäre dann 4,5 mm. Damit wird deutlich, dass sich an der eigentlichen Wahl des Liners nichts ändert.
Chancen und Risiken – Fazit
Zum einen bringt die Novellierung eine große Erleichterung hinsichtlich Messgenauigkeit und Einheitlichkeit von mechanischen Kennwerten für die gesamte Branche mit sich. Harzreiche Schichten sind wie in der tatsächlichen Mechanik auch bei der Kennwertbestimmung Teil des Laminats und müssen bei der Bestimmung von E-Modul und Festigkeit nicht mehr kompliziert gemessen und rechnerisch in Abzug gebracht werden. Sie bedingt zum anderen aber auch ein Umdenken bei allen Akteuren. Diesen Weg müssen Hersteller gemeinsam mit ihren Kunden, den Prüfinstituten, den Planungsingenieuren und den Netzbetreibern bestreiten. Ziel ist es, für Transparenz und Klarheit am Markt zu sorgen.
Denn eines ist sicher: Spezifische Kennwerte wie z. B. der E-Modul werden sich mit dieser Veränderung der Prüfgrundlage verringern. Da aber der geometrische Bezug in Form der Wanddicke größer wird, ist der eigentlich relevante Kennwert, die Ringsteifigkeit unverändert. D. h., dass die Leistungsfähigkeit und die hohe Qualität der Schlauch-Liner davon unberührt sind. Lediglich die Art und Weise wie sie beschrieben werden, nicht aber die tatsächliche Struktur, der Aufbau oder eingesetzte Rohstoffe haben sich verändert.
Die SAERTEX multiCom® GmbH richtet sich als Hersteller für UV-härtende GFK-Schlauch-Liner auf die entsprechenden gültigen ISO-Normen aus. So werden sukzessive alle relevanten technischen Unterlagen angepasst und Kunden frühzeitig über anstehende Änderungen informiert.
Autor
Timo Münstermann M.Sc.
Produktmanager bei SAERTEX multiCom, Saerbeck
Tel: +49 2574 902-0
Danke an die 3R für die Zurverfügungstellung des Beitrags.